Auszug aus ‘Tankret’ (2021)

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Auszug aus ‘Der Riesenfisch und das Rieseneichhörnchen’ (2014)

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Auszug aus ‘Tankret’ (2021)

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Auszug aus ‘Futurae’ (2017)

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Auszug aus ‘Gedichte’ (2020)

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Auszug aus ‘Der große Rgsh’ (2017)

(…) Der Raum war grün. In einem giftig, aggressiven Ton gestrichen und nicht etwa in Lindgrün oder ins Türkis gehend. Vor den Fenstern zogen rote Gitterstäbe eine scharfe Grenze zur Außenwelt und hinter dem Glas entfernte ein Brettergewirr Sie noch weiter von ihr. An einer der Wände war ein großer schwarzer Rabe in der Seitenansicht skizziert, der erhaben auf einem kahlen Ast saß und in die Ferne sah. Er hatte etwas Bedrohliches an sich und war doch so fest an seinem Platz verankert, dass Sie kein Unwohlsein bei seinem Anblick überkam. 

Sie lag in ihrem Bett und sah sich aufmerksam um. Auf dem Boden und über sämtliche Wände liefen unzählige Spinnen. Kleine grüne und nur wenig größere gelbe. Ihre Schritte warfen ein leises Klackergewirr in die Luft. Es klang rhythmisch und erinnerte Sie an Zahnräder, die ineinander griffen. Wenn dem so war, mussten sie Teil einer sehr großen Maschine sein und Sie in deren Zentrum. Das Umherwuseln der kleinen Achtbeiner wirkte auf den ersten Blick chaotisch, aber bei genauerer Betrachtung konnte Sie Wege und Strukturen erkennen. Formeln und Zahlenkombinationen, die sich permanent veränderten. Sie durchkreuzten alle Winkel des Raums. Jede Gattung für sich entwarf eigene Muster. Die Gebilde der grünen und die der gelben überlagerten und ergänzten sich. Sie gehörten zusammen und keine gleichfarbige Verknüpfung für sich hätte ohne die andere einen Sinn ergeben.
Je länger Sie hinsah, desto mehr verstand Sie und dann erkannte Sie das ganze Spektrum dieser Nachricht. Vor ihr lag alles Wissen, dass es zu Wissen gab. Mehr als jedes Sachbuch und jede Studie jemals hätten wiedergeben können, weil es kein Mensch verstanden hatte. Alles hing zusammen. Nichts stand für sich. Sie las und las und war begeistert von der Komplexität auf der einen Seite und der einfachen Beschaffenheit und Logik auf der anderen. Sie wollte das Wissen einfangen, es behalten und übersetzen, wollte es in Worte fassen, um es selbst nicht wieder zu verlieren und der Welt zu offenbaren. Wenn alle Menschen verstünden, was Sie nun wusste, wäre alles Ungute in die Vergangenheit verbannt. Jeder Sinn war gegeben und seine Schönheit so überwältigend, dass Niemand mehr brauchen würde, als eben dieses Wissen. Das Problem war nur, dass die Anordnung dieser Formeln so ausufernd und groß war, in jeder Zahl ganze Bücher steckten, dass Sie keinen Anfang fnden konnte. Permanent kamen neue Zahlen hinzu und andere ver- schwanden wieder. Ein Moment der Unaufmerksamkeit und Sie würde den Anschluss verpassen. 

Sie war hier nicht alleine. Um ihr Bett standen noch viele weitere Betten und in jedem vergnügte sich ein Paar. Manchmal wechselten Partner und schlüpften unter andere Decken. Entzückte Aufschreie aus jeder Richtung. Lautes Stöhnen und das Knarzen alter Lattenroste wurden kräftiger und verdrängten das Klackern der Spinnen. Sie versuchte sich zu Konzentrieren, aber je mehr die Geräuschkulisse anschwoll, desto weiter entfernte sich das Wissen wieder von ihr. Sie hatte alles erkannt und jetzt drohte ihr, dass alles ver- schwand. Einzig und allein die Erinnerung an den Verlust würde ihr bleiben. Sie wurde panisch. Plötzlich wandten die Menschen ihre Gesichter zu ihr. Sie starrten Sie an. Unzählige Blicke schienen Sie zu durchbohren. Münder verzogen sich zu wundersamen, länglichen Ovalen. Und dann schrieen sie. Schallend schrill zerfetzte ihr Klagelaut die Luft. Gefolgt von absoluter Stille. Und als wäre nichts gewesen, widmete ein jedes Paar sich wieder seinem Akt.

„Hallo?“ Sie wollte sich beschweren oder zumindest irgendetwas tun, aber niemand nahm Sie war und so probierte Sie es erneut, nur jetzt mit mehr Nachdruck: „Hallo?!“ Ein Mann, wohl alterslos, mit glatter Haut, drehte sich zu ihr. Sein Blick zeigte Unverständnis, ob der unangebrachten Unterbrechung. Nun war Sie es also, die hier störte? Das machte doch keinen Sinn. Lange sah Sie ihn an. Sie sah ihm direkt in die Augen, aber so lange Sie auch starrte, konnte Sie nichts fnden, das Sie verstand. Sein Blick verkörperte nur absolute Leere. Plötzlich griff er neben sich unter die Decke und hatte eine große, haarige Spinne in seiner Hand. Sie war schwarz und braun gestreift und umgeben von einer einschüchternd mächtigen Aura. Er hob seine Hand und schleuderte das Tier direkt in ihr Bett. (…) 

Tourplakat ‘HARZ’
Lesereise
Helen Weber | Fabian Widukind Penzkofer
2020